Auch im digitalen Raum gilt: Nachhaltigkeit heißt vor allem zu wissen, wann’s genug ist.
Im ersten Teil der Serie über den digitalen Fußabdruck und die Grenzen des Wachstums habe ich mich darauf konzentriert, wie ökologisch nachhaltig die Digitalisierung ist, je nachdem, wie sie den Energieverbrauch beeinflusst. Ich habe Zweifel geäußert, ob die Digitalisierung die erhofften Anstrengungen des grünen Wachstums retten wird, und kam zu dem Schluss, dass die Digitalisierung nicht von allein grün wird, sondern politische Lenkung erfordert. Solche proaktiven Strategien, die sicherstellen, dass die Digitalisierung zu nachhaltigeren Wirtschaftsweisen führt, können ganz unterschiedlichen Ansätzen folgen. In diesem Beitrag möchte ich Sie kurz mit der Strategie der digitalen Suffizienz vertraut machen.
Generell können Nachhaltigkeitsstrategien in Effizienz, Konsistenz und Suffizienz unterteilt werden. Um ihre Unterschiede zu verdeutlichen, stellen Sie sich vor, Sie möchten die ökologischen Auswirkungen eines Transportsystems mit 100 fossil betriebenen Autos verringern. Wenn Sie eine Effizienzstrategie verfolgen, könnten Sie daran denken, alle 100 Autos durch effizientere Elektroautos zu ersetzen. Pro Auto verringern sich die ökologischen Auswirkungen. Bei einem konsistenten Ansatz möchten Sie außerdem sicherstellen, dass der Strom für diese Elektrofahrzeuge konsequent erneuerbar ist. Möglicherweise möchten Sie sogar kompostierbare Sitze im Innenraum haben, um den Kreislauf sicherzustellen. Aus der Perspektive der Suffizienz könnten Sie dann sagen: Alle diese Veränderungen sind zwar vernünftig, aber das Problem ist, dass wir immer noch insgesamt 100 Autos auf der Straße haben, die insgesamt sehr viel Energie und Material benötigen, sodass die Effizienz- und Konsistenzgewinne womöglich nicht ausreichen, um die absoluten ökologischen Ziele zu erreichen. Bei Suffizienz geht es darum, „wie viel genug ist“ und sie thematisiert den Umfang wirtschaftlicher Aktivität. Das wird oft missverstanden als Appell an individuelle Verhaltensänderungen und Verzicht. Aber Suffizienz möchte eher ganze Systeme so gestalten, dass wir Bedürfnisse effizienter, das heißt mit weniger Produkten und Konsum befriedigen können, um Abhängigkeiten zu reduzieren und übermäßigen Konsum zu vermeiden. Um in diesem Beispiel zu bleiben: Suffizienzstrategien könnten die Ausweitung des öffentlichen Verkehrs oder die Umgestaltung von Stadtvierteln sein, um dadurch die tägliche Abhängigkeit vom Auto zu verringern. Suffizienz adressiert somit direkt die Wurzel der ökologischen Auswirkungen, nämlich den Umfang der Nachfrage. Um es deutlich zu sagen: Jedes nicht produzierte Produkt spart 100% der Auswirkungen dieses Produkts, während Effizienzverbesserungen nur einen kleineren Prozentsatz dieser Auswirkungen senken. Deshalb ist Suffizienz aber politisch sehr viel härter anzugehen. Übertragen wir die Idee der Suffizienz nun auf den Prozess der Digitalisierung. Um Ihnen einige Anregungen zu geben, fasse ich hauptsächlich Forschungen von Santarius und anderen [1] zusammen, die diese Idee vorangetrieben haben. Digitale Suffizienz beschreibt „jede Strategie, die darauf abzielt, den absoluten Ressourcen- und Energiebedarf aus der Produktion oder Anwendung von ICT direkt oder indirekt zu verringern“ [1, S. 4]. Wir können uns digitale Suffizienz in vier Bereichen der Digitalisierung vorstellen, die jeweils mit unterschiedlichen politischen Maßnahmen und Potenzialen einhergehen können.
1.) Hardware-Suffizienz zielt auf weniger und langlebige Hardware-Geräte wie Smartphones oder Laptops ab und reduziert so die ökologischen Auswirkungen über den gesamten Lebenszyklus hinweg. Dies kann durch die Festlegung nachhaltiger Designprinzipien in der Produktion, die Einführung eines „Rechts auf Reparatur“ oder das Implementieren von Leasinggeräten anstelle des Neukaufs erreicht werden.
2.) Software-Suffizienz bedeutet, die notwendige Datenverwendung von Anwendungen zu reduzieren und die benötigte Hardwarekapazität zu verringern. Dies betrifft hauptsächlich Entwicklung und Cloud-Betreiber. Politiken könnten z.B. die Kennzeichnung von energieeffizienter Software einschließen.
3.) Benutzer-Suffizienz zielt darauf ab, ICT nachhaltiger zu nutzen und sie so einzusetzen, dass sie uns bei der praktischen Umsetzung nachhaltiger Lebensweisen unterstützt. Maßnahmen umfassen Aufklärungsprogramme zur Nutzung digitaler Werkzeuge, aber auch die Begrenzung des Umfangs von Online-Werbung, die nachhaltige Lebensstile fördert.
4.) Wirtschaftliche Suffizienz ist eine eher indirekte und die komplexeste Form der digitalen Suffizienz und zielt darauf ab, ICT zu nutzen, um die Wirtschaft als Ganzes nachhaltig zu transformieren. Eine der Hauptherausforderungen besteht darin, die durch die Digitalisierung gewonnenen Produktivitätsgewinne in verkürzte Arbeitszeiten umzuleiten, anstatt die Produktion zu erweitern. Dies erfordert Maßnahmen zur Verkürzung und Verteilung der Arbeitszeiten.
All diese Punkte sind hoch umstritten und komplex. Die Haupterkenntnis ist, dass digitale Suffizienz eine Denkweise ist, die uns daran erinnert, nicht in die Falle zu tappen, uns allein auf die Effizienz digitaler Werkzeuge zu verlassen, um alle unsere Herausforderungen zu lösen. Sie verankert uns in der Realität und provoziert eine gesellschaftliche Debatte über die Rolle der Digitalisierung bei der Förderung nachhaltiger Lebensweisen.
Quellen:
[1] Santarius, T., Bieser, J.C.T., Frick, V. et al. Digital sufficiency: conceptual considerations for ICTs on a finite planet. Ann. Telecommun. (2022). https://doi.org/10.1007/s12243-022-00914-x
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Autor: Sven-David Pfau, Wirtschaftsuniversität Wien
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